Offener Brief an Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider fordert Schutz der Kinder vor ungesunder Lebensmittelwerbung


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Die Allianz Ernährung und Gesundheit setzt sich seit vielen Jahren für den Schutz der vulnerabelsten Konsumentengruppe und damit der Kinder und Jugendlichen ein. Sie ist ein Verbund von Organisationen, welche im Bereich Gesundheit, Ernährung und somit auch Konsumenten-schutz tätig ist. Die Allianz ist überaus besorgt, dass der Schutz der Kinder vor übermässiger Bewerbung ungesunder Kinderlebensmittel keinen Eingang in das zu revidierende Lebens-mittelgesetz LMG finden wird. Dabei sollten Massnahmen zum Schutz der Kinder vor den schädlichen Auswirkungen von Marketing eine Selbstverständlichkeit sein – sie basieren auf den international anerkannten Kinderrechten ( World Health Organization and the United Nations Children’s Fund (UNICEF), 2023)

Fehlernährung hat viele Ursachen. Es ist ein multifaktorieller Ansatz notwendig, um diese anzugehen. Eine einfach umzusetzende und laut WHO-Untersuchungen besonders (kosten-) wirksame Massnahme stellt die Einschränkung der Bewerbung ungesunder Produkte für Kinder dar. Dass dies möglich ist, zeigt Norwegen, wo gerade in diesen Tagen ein Werbever-bot in Kraft gesetzt wurde. Dieses gilt für Jugendliche bis 18 Jahren und wird auch von der Industrie akzeptiert.

Auch in der Schweiz besteht dringender Handlungsbedarf: 

  • Bereits sind 15 % der Kinder und Jugendlichen übergewichtig oder gar adipös. Besonders stark betroffen sind diejenigen, welche in einem bildungsfernen Elternhaus aufwachsen. (Herter-Aeberli, 2018)
  • Der Zuckerkonsum in der Schweiz ist mit rund 110g pro Kopf und Tag viel zu hoch. Die WHO empfiehlt höchstens 50g. Spezifische Daten zum Zuckerkonsum von Kindern in der Schweiz fehlen, Erhebungen in anderen europäischen Ländern zeigen für diese Altersgruppe meist aber noch höhere Werte als für Erwachsene. Damit verbunden ist das Risiko von Folgeerkrankungen wie Übergewicht/Adipositas, Zahnkaries, sowie längerfristig chronischen kardiovaskulären, metabolischen und weiteren gesundheitlichen Problemen (Wölnerhanssen, 2023).

Die Universität Hamburg kommt in ihrer Untersuchung zum Schluss, dass die Entwicklung ungesunder, Adipositas begünstigender Ernährungsweisen in der Kindheit ein starker, kausaler Faktor für spätere Morbiditätslast seien und wesentlich durch das Kindermarketing der Lebensmittelindustrie verursacht würden (Effertz, 2021).

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen setzt sich dafür ein, Kindermarketing zu regulieren. Eine vom BLV in Auftrag gegebene Untersuchung zeigt deutlich, dass eine Marketing-Beschränkung notwendig ist: Kinder im Alter von 4 bis 9 Jahren waren der Bewerbung besonders intensiv ausgesetzt – also die jüngste und damit vulnerabelste Gruppe (Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, 2023).

Marketing bei Kindern und Jugendlichen wirkt. Das zeigt sich daran, dass Kinder nicht fähig sind, die Werbung als solche zu identifizieren und deren Absichten zu durchschauen. Die Werbebotschaften für die HFSS-Produkte werden in sozialen Medien ins Unterhaltungs-angebot eingebaut und immer stärker über Influencer verbreitet. Dies zeigt beispielsweise eine Untersuchung der Westschweizer Konsumentenorganisation FRC am Beispiel von Tiktok (Imsand/Eggenberger, 2024). Hinzu kommt, dass die Online-Werbung und insbesondere das Influencer-Marketing in der Schweiz keiner Kennzeichnung unterworfen wird, wie ein Dutzend Beschwerden des Konsumentenschutzes belegt haben.

Die freiwilligen Massnahmen der Industrie wirken nachweislich nicht ausreichend und beruhen zum Teil auf eigenen, willkürlich festgelegten Nährwertgrenzen, welche eine wirksame Einschränkung verhindern. Ein sicheres Zeichen, dass die Werbung ihren Zweck erfüllt und gezielt ein ungesundes, gesundheitsgefährdendes Kauf- und Ernährungsverhalten fördert, sind die Ausgaben der Unternehmen dafür: Im Jahr 2022 waren es 6'926 Millionen Franken (Media Focus, 2023)

Aus diesem Grund rufen wir appellieren wir an Frau Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, im Interesse der Kinder und deren (zukünftiger) Gesundheit, diese Überlegungen in die anstehende Revision des Lebensmittelgesetzes einfliessen zu lassen.

Dem Bundesrat muss ein Instrument zur Verfügung gestellt werden, damit in Zukunft die Auswüchse des Marketings für HFSS-Lebensmittel bekämpft werden können. Massnahmen zum Schutz von Kindern vor den schädlichen Auswirkungen von Marketing basieren auf den Kinderrechten. Fehlt ein solches Instrument weiterhin, widerspricht dies dem Präventionsgedanken und führt diesen ad absurdum.